Der Bambi-Reflex, eine überholte Überlebensstrategie aus der Kindheit

Der Bambi-Reflex: Wenn Freundlichkeit zum Zwang wird

Freundlichkeit ist sehr wohltuend und wichtig, ohne sie würde das Zusammenleben viel schwieriger sein. Aber manchmal möchten wir gar nicht freundlich sein und wir empfinden sie dann als Zwang. Wir lächeln, um ja nicht anzuecken und zu verärgern – und sitzen damit in der Anpassungs-Falle mit dem Namen „Bambi-Reflex“.

Der Bambi-Reflex – wie er entsteht

Steigen wir sofort ins Thema ein: Der Bambi-Reflex oder „Fawn Response“, wie er in der englischsprachigen Forschung genannt wird, ist alles andere als Zeichen von Entspannung und Wohlbefinden. „Fawn“ bedeutet auf Englisch „Rehkitz“, in der weiteren Bedeutung aber auch „jemandem schmeicheln, katzbuckeln oder kriechen“. Der Bambi-Reflex wurde erstmals von dem Therapeuten Pete Walker als vierte Reaktion auf überfordernde und traumatische Ereignisse gesehen. Bisher sprach man von Kampf, Flucht und Erstarrung (Fight, Flight, Freeze). Der Bambi-Reflex ist eine Form von chronischer Unterwerfung und Überanpassung.

Unser Verhalten auf solche Situationen wird von unserem sympathischen Nervensystem geregelt. Normalerweise macht es unseren Körper angesichts von Gefahr bereit, sofort zu kämpfen oder zu fliehen. Wenn das nicht möglich ist, fallen viele Menschen in einen Totstell-Reflex. Wenn wir dieser überfordernden Situation für längere Zeit oder chronisch ausgesetzt sind, ergeben wir uns. Dann tritt das parasympathische Nervensystem in Aktion, das eigentlich für Entspannung sorgt. Unser Körper ist dann zwar nicht mehr im Kampfmodus, trotzdem fühlen wir uns gefangen in einer Lebenssituation, der wir nicht entkommen können.

Bambi-Reflex setzt auf sanftmütigem Augenaufschlag
Wer könnte diesem sanftmütigem Augenaufschlag widerstehen oder böse sein?

Wir müssen irgendwie mit den Umständen oder den Menschen zurechtkommen, was dazu führen kann, dass wir diesen Bambi-Reflex als Schutzstrategie entwickeln. Wir versuchen, uns anzupassen, vorauseilend freundlich und unterwürfig zu sein und möglichst keine Aufmerksamkeit, Demütigung und Bestrafung auf uns zu ziehen. Dieses Verhalten – zunächst in der Kindheit als einzig verfügbare Überlebensstrategie erlernt – kann als dauerhaftes Verhaltensmuster weiterhin im Erwachsenenalter bestehen, oft unbemerkt, aber dennoch mit schwerwiegenden Folgen.

Wie erkennt man den Bambi-Reflex?

Menschen, die den Bambi-Reflex als Überlebensstrategie stark ausgeprägt haben, zeigen folgende Verhaltensweisen:

  • Du stellst deine Bedürfnisse und Meinungen hintenan.
  • Du bemühst dich immer um Harmonie und Fürsorge.
  • Du entschuldigst dich für alles und jeden, damit kein Konflikt entsteht.
  • Du möchtest von allen gemocht werden und leidest darunter, wenn das nicht so ist.
  • Du sagst nicht, was du wirklich denkst.
  • Bei allen Vorhaben bist du auf Bestätigung oder Erlaubnis von aussen angewiesen.
  • Du kannst keine Grenzen setzen.
  • Du weisst eigentlich gar nicht, wer du wirklich bist und was du wirklich willst.
  • Du verwendest (unbewusst) Unterwerfungsgesten, es fällt dir z.B. schwer, Menschen im Gespräch (oder bei Auseinandersetzungen) in die Augen zu schauen.
  • Du legst im Gespräch deinen Kopf oft schräg.
  • Dir fällt es schwer, im Stehen beide Beine gleichmässig zu belasten (fester Stand!)
  • Du lächelst, auch wenn dir überhaupt nicht danach zumute ist.

Vielleicht hast du einige dieser Verhaltensweisen jetzt auch bei dir entdeckt. Das ist gar nicht so leicht! Denn der Bambi-Reflex – übrigens abgeleitet vom dem allerliebsten kleinen Rehkitz mit dem süssen Augenaufschlag aus den Disney-Filmen – ist ein Meister der Tarnung! Besonders Frauen leben mit diesem Muster, ohne es bewusst zu erkennen. Gesellschaftliche Erwartungen an Frauen, sich fürsorglich und harmonisch zu zeigen, verstärken diesen Reflex und erschweren seine Entdeckung.

Ausserdem ist der Bambi-Reflex für das Umfeld dieser zwangs-freundlichen Menschen ungeheuer praktisch. Sie werden nämlich in ihren Bedürfnissen übermässig gesehen und beachtet. Bei meinen Klientinnen im Coaching beobachte ich, dass die Entdeckung des Bambi-Reflexes vor allem in den Wechseljahren von Frauen ein Thema wird.

Wenn die Frauen eben nicht mehr so pflegeleicht funktionieren, wie sie das ein Leben lang getan haben. Wenn sie endlich ihre eigenen Bedürfnisse entdecken und auf deren Verwirklichung pochen. Wenn sie endlich den Mut haben, zu sich zu stehen und erkennen, dass das ewige Anpassen und Unterwerfen ihrem Lebensglück im Weg steht. Dann sind sie natürlich nicht mehr so unkompliziert und „gut handelbar“ für ihre Umgebung und es heisst dann: „Was ist denn plötzlich mit dir los?“

Der Bambi-Reflex und seine Folgen

Wie vorhin beschrieben, bleibt der Bambi-Reflex oft unerkannt. Sogar oft auch im Coaching oder in der Therapie. Denn auch dort „liefern“ die betroffenen Klientinnen, was der Therapeut oder Coach gerne hören möchte, ohne ihren wirklichen Themen auf den Grund zu gehen.

Betroffene haben vor allem grosse Probleme mit der Selbstwahrnehmung. Sie können manchmal ihre eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse nicht erkennen und benennen, oft ist es sogar schwierig, diese zu fühlen. Auch das ist sehr praktisch für die Umwelt: Menschen mit einem Bambi-Reflex ordnen sich automatisch den Bedürfnissen von anderen unter und werden dadurch oft zum „seelischen Mülleimer“ – und empfinden es oft noch als besondere Wertschätzung, wenn es heisst: „Du kannst so gut zuhören, niemand kümmert sich so um mich wie du.“

Es gibt inzwischen vermehrt Hinweise darauf, dass Menschen mit einem Bambi-Reflex besonders schnell in narzisstische Beziehungen geraten und sich häufig Partnerinnen und Partner mit einer narzisstischen Störung suchen.

Bambi-Reflex ist kein effektives Glücks-Rezept
Überanpassung und Selbstabwertung – kein effektives Glücksrezept!

Das ständige Unterdrücken eigener Emotionen wie Wut, Angst oder Traurigkeit kann dazu führen, dass Betroffene diese Gefühle oft gegen sich selbst richten. Damit besteht die Gefahr, auch körperliche Krankheiten zu entwickeln. Der kanadisch-ungarische Arzt und Traumatherapeut Gabor Maté beschreibt dieses Zusammenspiel sehr eindrücklich in seinem Buch „Wenn der Körper Nein sagt“.

Bambi-Reflex – wie du ihn überwindest

Die Überwindung dieses übermässig angepassten Verhaltens braucht Zeit. Und die darfst du dir geduldig und liebevoll geben. Wichtig ist, dass du zunächst ein Bewusstsein für dieses Verhalten gewinnst und schaust, in welchen Situationen du im Bambi-Reflex reagierst. Und vor allen Dingen gib dir die Erlaubnis, nicht dauerhaft freundlich sein zu müssen. Das Leben ist nicht immer nur himmelblau und nett zu dir – und dann darfst du auch mal neutral oder einfach mit einem Gesichtsausdruck in die Welt schauen, der wirklich deiner Gefühlslage entspricht.

Was kannst du nun konkret tun? Folgende erste Impulse geben dir einen Hinweis, in welche Richtung die Reise zu deinem echten und authentischen Selbst geht:

  • Versuche, ein Bewusstsein für deine Gefühle und die dahinterliegenden Bedürfnisse zu bekommen. Diese Wahrnehmung kann man tatsächlich üben. Vielleicht nimmst du dir während des Tages einfach mal 5 Minuten Zeit und fragst dich: „Wie geht es mir eigentlich gerade? Und was brauche ich, damit es mir besser geht?“ Sehr gerne empfehle ich auch die regelmässige Journal-Arbeit, bei der du deine Gedanken und Gefühle reflektierst und Worte für sie findest, damit du sie auch ausdrücken kannst. Schreiben kann wirklich auch therapeutisch wirken!
  • Überprüfe, was du so denkst über das Leben, über dich und über die anderen. Steckst du in Verhaltensmustern und Überzeugungen, die du schon immer mit dir mitgeschleppt hast, die dir aber das Leben schwer machen? Sind sie überhaupt wahr oder noch nützlich für dich? Oder kannst du sie nicht einfach entsorgen und neue persönliche Überzeugungen und Gedanken entwickeln, die dir viel besser tun?
  • Versuche, einfach mal neutral zu schauen, wenn es gerade nichts zu lächeln gibt. Wie geht es dir damit? Fühlst du dich vielleicht unwohl, ertappt oder sogar ängstlich? Mit dieser Übung unterscheidest du das zwanghafte vom echten Lächeln – denn echtes Lächeln stellt sich immer automatisch ein und ist mit dem Gefühl von Freude verbunden.
  • Lerne, Grenzen zu setzen und für dich einzustehen. Auch Konflikte lassen sich respektvoll und wertschätzend sprachlich lösen. Besonders im Kontakt mit dir nahestehenden Personen (Partnerschaft, Familie, Beruf) ist diese Fähigkeit überlebenswichtig. Wenn du dazu konkrete Anleitungen oder ein Training möchtest, melde dich jederzeit bei mir.

Bambi-Reflex – kann coaching helfen?

Wenn du aus dieser automatischen Selbstverleugnung aussteigen willst, stehe ich dir sehr gerne zur Seite. Der Bambi-Reflex ist eine Art von automatischer Konditionierung, die in deiner Kindheit sinnvoll und wichtig zum Überleben war. Solche Strategien haben ganz viel damit zu tun, wie du mit Angst und Ängsten umgehst. Automatisches Verhalten kann man aber auch als erwachsener Mensch wieder verlernen und Reize entkoppeln. Das braucht Zeit, Geduld und Liebe von deiner Seite.

In meinem Coaching arbeite ich mit der von mir entwickelten Traumasensiblen Transformationstechnik (TST). Zusammen entdecken wir, woher deine Überzeugungen und Verhaltensweisen stammen und was du brauchst, um sie zu verändern. Du lernst, wie du deine bekannten automatischen Verhaltensweisen durchbrechen und in einem geschützten Raum neue Erfahrungen machen und einüben kannst. Ich zeige dir, wie du deine Gefühle und Bedürfnisse wahrnimmst, sie deiner Umgebung wertschätzend und vor allem konfliktfrei mitteilst, damit du endlich ein Leben führst, das zu 100 Prozent dir entspricht.

Wenn du mehr über meine Arbeit erfahren möchtest oder Fragen hast, dann kannst du unverbindlich ein Kennenlerngespräch mit mir vereinbaren. Gerne empfehle ich dir auch noch weitere Blogartikel, die dich in deiner persönlichen Entwicklung weiterbringen:

Traumatisiert? Ich doch nicht? Und wenn doch? 5 Anzeichen für ein Entwicklungstrauma

Angst vor dem eigenen Erfolg: 5 effektive Tipps gegen Selbstsabotage

Selbstwirksamkeit – Wie entwickelst du diese psychische Superpower?

Und ein allerletzter Tipp: Wenn du deinen Gefühlen auf die Spur kommen und gleichzeitig lernen möchtest, mit negativen oder besonders herausfordernden Gefühlen besser umzugehen, dann empfehle ich dir mein Buch: „Leben! Was sonst? Gedanken und Emotionen zum Besserfühlen und Glücklichmachen“. Als „Zückerchen“ erhältst du beim Kauf des Buches einen Link zu meinem kostenlosen Online-Kurs „Emotional Empowered – Einführung in die Emotionale Selbstregulation“.

Das Buch ist hier, in allen Buchhandlungen oder – mit meiner persönlichen Widmung – zum Preis von CHF/Euro 15.- in der Frauenakademie zu erhalten.

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1 Kommentar

  1. Liebe Petra
    Vom „Bambi-Reflex“ hatte ich noch nie etwas gehört. Es ist mir jetzt ganz viel klar geworden, vor allem, woher mein überangepasstes Verhalten kommt. Hab den Text sofort an meine 2 Schwestern weitergeleitet.
    1000 Dank dafür!
    Anna

    Antworten

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